Oberholtorf war schon vor 2400 Jahren besiedelt

Die Saalkirche bleibt ein historisches Rätsel - Archäologen entdeckten Löcher unter den Steinen des Fundaments - Später ein Unterschlupf für Flüchtlinge?

Von Carina Johnen

Oberholtorf. An der Ausgrabungsstätte oberhalb des Brünnchens ist Ruhe eingekehrt. Gut zwei Jahre lang hatten Archäologen die Fundstelle mit Messgeräten, Schaufeln und Kellen unter die Lupe genommen. Jetzt sind die Arbeiten beendet, die freigelegte Fläche soll in Kürze zugeschoben werden.

"Alles, was wir gefunden haben, befindet sich in der Außenstelle Overath des Rheinischen Amts für Bodendenkmalpflege", sagte der dortige Amtsleiter Michael Gechter, der mit seinen Kollegen die Grabungen an der Stieldorfer Straße in Oberholtorf durchgeführt hatte. Dass die Archäologen auf der Hochfläche fündig wurden, haben sie dem Landwirt und Heimatforscher Horst Wolfgarten zu verdanken. Der war beim Pflügen immer wieder auf Basaltbrocken gestoßen und hatte die dicken Steine mit einer Kapelle des Klosters Heisterbach aus dem späten Mittelalter in Zusammenhang gebracht.

Wolfgarten informierte die Fachleute von der Bodendenkmalpflege, die dann in den Boden schauten und eine ungewöhnliche Entdeckung machten: Das vermeintliche Kapellchen entpuppte sich als große einschiffige Saalkirche, 36 Meter lang, zehn Meter breit. Die Mauern waren zwischen 90 Zentimeter und 1,25 Meter dick. "Von diesen riesigen Saalkirchen gibt es in Deutschland nur ganz wenige", sagte Gechter und fügte hinzu: "Und das auf dem platten Land. Da hat doch keiner was vermutet."

Genau genommen handelt es sich um zwei Kirchen. Bereits im 10. Jahrhundert stand nach Meinung der Experten auf der Hochfläche ein kleines Gotteshaus (17 Meter lang), das dann in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verlängert wurde. Gechter geht davon aus, dass die pompöse Kirche schon im 13. Jahrhundert abgerissen wurde, und zwar in sorgsamer Handarbeit. "Wir hatten nicht viel Bruch", so der Fachmann, der vermutet, dass Steine, Eichenbalken und Bodenplatten womöglich zum Bau anderer Häuser verwendet wurden.

Im Chor fanden die Grabungstechniker ein Kindergrab mit den Gebeinen zweier Sprösslinge. Scherbenfunde und Holzpfostenspuren aus dem 7./8. Jahrhundert, die sich unter der Kirche befanden, ließen sie zusätzlich auf "Aktivitäten" der Merowinger in Oberholtorf schließen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts war eine frühmittelalterliche Besiedlung durch die Franken bekannt, als merowingische Gräber ans Tageslicht kamen.

Eine sensationelle Entdeckung machten die Archäologen, als sie eigentlich schon aufhören wollten: Vor wenigen Wochen stießen sie auf eisenzeitliche Gruben aus dem 4. oder 3. Jahrhundert vor Christus. "Als wir die untersten Steine der Kirche rausnahmen, entdeckten wir die Löcher unter einer Lehmschicht", so Gechter. Damit muss das Gebiet in und um Oberholtorf schon vor rund 2400 Jahren besiedelt gewesen sein. "Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Kelten hier gesiedelt haben", vermutet Wolfgarten. Die Gegend mit ihrer "strategisch wichtigen Höhenlage" sei schon immer ein bevorzugtes Siedlungsgebiet gewesen. "Wenn man hier weiter graben würde, würde man noch Gott weiß was finden", so der Heimatforscher.

Doch was hat es nun mit der Saalkirche auf sich? Historisch bleibt sie ein Rätsel, denn in den Quellen ist sie kein einziges Mal erwähnt. Gechter geht davon aus, dass die Gründerfamilie der Oberholtorfer Burg - der Burghof existiert noch heute - eine Kirche baute, "um politisch hoch zu kommen". Als die Familie kinderlos ausstarb, seien Burg und Kirche an die Herren von Löwenberg gegangen. Die saßen südlich des Siebengebirges und hatten kein wirkliches Interesse an den Eigentümern in Oberholtorf. Also nahmen sie die Kirche auseinander - Stein für Stein - und nutzten das Baumaterial anderweitig.

Der kinderlose Heinrich von Löwenberg vermachte den Hof 1333 an die Grafen von Jülich. In der Urkunde ist weder von einer Burg noch von einer Kirche die Rede - vielleicht ein Beweis dafür, dass beide Gebäude zu dieser Zeit nicht mehr existierten. Wolfgarten hat eine andere Vermutung: Von den Stücken eines Kachelofens (die Grabungstechniker fanden eine Grube mit Ofenkacheln) und eines Webstuhls, die in der Erde lagen, schließt er auf Flüchtlinge, die etwa im 10. Jahrhundert Unterschlupf in der Kirche suchten, "nachdem das Gebäude seine Funktion als Kirche längst verloren hatte."

Wie die Geschichte um den Sakralbau nun wirklich verlief, wird auch in Zukunft ein Rätsel bleiben. Eine Hinweistafel soll künftig an die bedeutenden Funde erinnern. "Die Fundamente der Saalkirche sollen ebenerdig mit Platten nachgezogen werden", so Wolfgarten, der dann auch ein paar Basaltbrocken neben den Denkmalpfad legen möchte. "Die Leute interessieren sich sehr für die Geschichte unserer Heimat, gerade die Neubürger", so der Landwirt. Das stelle er bei seinen heimatkundlichen Führungen immer wieder fest.

(GA vom 14.08.2002)